Pfarrer Bieger und die caecilianische Reformmusik

Aus Genderkinger Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Pfarrer Bieger und die caecilianische Reformmusik

Mit der Säkularisation und der Trennung von Kirche und Staat im Jahre 1803 kam das bis dahin bestehende reiche kirchliche Musikleben zunächst abrupt zum Stillstand. Alle von der Kirche unterhaltenen Kantoreien, Orchester, Singschulen wurden aufgelöst.


Das aus diesem Umstand entstandene Vakuum hatte nicht nur negative Auswirkungen, sondern bewirkte, dass nun ehrenamtlich tätige Laien sich vermehrt der Kirchenmusik annahmen und durch ihr Engagement bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Wiederbelebung der Kirchenmusik zu Stande brachten. Allerorts entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Laienkirchenchöre, deren Bildung durch eine einsetzende Erneuerungsbewegung der katholischen Kirchenmusik zusätzlich unterstützt und gefördert wurde.


Diese Erneuerungsbewegung der katholischen Kirchenmusik propagierte unter dem Einfluss des sog. „Historismus“ in Deutschland und Frankreich eine „Choralreform“, die die Rückkehr zum sog. „Palestrinastil“ forderte, einem vermeintlichen „a-cappella-Stil“ des 16. Jahrhunderts, dem man neben dem Gregorianischen Choral allein die Eignung zu „wahrer“ Kirchenmusik zubilligte.

Transfiguration (Verklärung) Christi von Raffael in den Vatikanischen Museen

Parallelen zu dieser Entwicklung in der Kirchenmusik findet man in der bildenden Kunst, in der z.B. die „Nazarener“ die Entwicklung der Malerei der letzten Jahrhunderte verwarfen und zum Stil des Florentiner Malers Raffael Santi (1443 – 1520) zurück kehren wollten sowie auch in der Architektur, die unter dem Einfluss dieses Historismus Kirchen bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein im „neoromanischen“ oder im „neogotischen“ Stil errichtete. Ein beredtes Zeugnis von Stil und Mode dieser Zeit legt der „neuromanische“ Prospekt der 1869 eingebauten Genderkinger Orgel ab, der vom Orgelbauer Steinmeyer und von Pfarrer Bieger, ganz dem Zeitgeist entsprechend, entworfen wurde.


Die Musiker verhielten sich diesen Bestrebungen gegenüber zunächst uneinheitlich. Die bekannten süddeutschen Komponisten Kaspar Ett und Johann Kaspar Aiblinger schrieben sowohl im „Palestrinastil“, als auch herkömmliche Orchestermessen. Dieser Richtung und Auffassung ist in der Musik auch Pfarrer Franz Bieger zuzuzählen, in dessen Werk sich Orchestermessen ebenso wie geistliche Gebrauchsmusik im Palestrinastil findet.


Dr. Franz Xaver Witt, der erste Vorsitzende des ACV und Ehrenkanonikus der Kathredale Palestrina (Italien)


Die Erneuerungsbewegungen in der deutschen Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts werden heute als „Caecilianismus“ bezeichnet. Das Zentrum dieser kirchenmusikalischen Bewegung lag in Regensburg und wurde durch die Bischöfe Johann Michael Sailer (1751 – 1832) und dessen Nachfolger Valentin v. Riedel (1802 – 1857) maßgeblich gefördert. Unter der Leitung des Priesters Franz Xaver Witt (1834 -1888) konstituierte sich am 01. 09. 1868 in Bamberg der „Allgemeine Caecilienverein“ (ACV) zur Förderung der Chormusik, nachdem als Organ dieser Bewegung bereits schon am 01.01.1868 die bis heute existierende Zeitschrift „Musica Sacra“ erschienen war. Der ACV verstand sich damals als Institution zur „Reinerhaltung“ der Kirchenmusik und erhielt schon 1870 durch Papst Pius IX. mit dem Breve „Multum ad movendos animos“ die Approbation als „Körperschaft des päpstlichen Rechts“.


Zur „Reinerhaltung“ der Kirchenmusik gab der Allgemeine Caecilienverein einen Katalog mit „geeigneten“ Kompositionen heraus. Jede Komposition der Zeit wurde zu diesem Zweck von einer Kommission des ACV beurteilt, ob sie den Kriterien, die der ACV an die Kirchenmusik anlegte, auch entsprach. Bei positiver Beurteilung wurde die Komposition in den Empfehlungskatalog des ACV aufgenommen. Wie fragwürdig dieses Vorgehen war, mag man daraus ersehen, dass die aus heutiger Sicht bedeutendsten Meister der sakralen Musik des 19. Jahrhunderts wie Anton Bruckner, Franz Liszt oder Caesar Franck mit ihren Kompositionen diesen Kriterien nicht entsprechen konnten.´


Franz Bieger jedenfalls wurde mit zahlreichen Kompositionen in die Kataloge des ACV aufgenommen und seine Werke fanden durch die Verlage Friedrich Pustet (Regensburg, New York, Cincinnati), Anton Böhm & Sohn (Augsburg, Wien) und Josef Seiling (Regensburg) weltweite Verbreitung. Der „Kirchenmusikalien-Verlag“ Seiling fungierte dabei offiziell als „Generaldepot, Handlung & Leihanstalt für alle im Cäcilien-Vereins Cataloge aufgenommene Musikalien“. Unser Wissen über die von Franz Bieger bei diesem Verlag gedruckten Werke ist zur Zeit allerdings noch lückenhaft, weil der Verlag Seiling im Bombenhagel des 2. Weltkrieges ausbrannte und mit ihm auch das Verlagsarchiv. Weitere Forschungsarbeit dahingehend jedoch steht an.


Am 22. November 1903 erhielt der Cäcilianismus durch Papst Pius X. im Motu proprio „Tra le Sollecetudini“ den höchsten päpstlichen Segen. Das „Motu proprio“, die Gedanken des Papstes, wurden zum „kirchenmusikalischen Gesetzbuch“ mit weitreichenden Auswirkungen. In den Chören wurde die Mitwirkung von Frauen untersagt und zur Begleitung des Gesangs war nur mehr die Orgel zugelassen. Andere Instrumente durften nur mit besonderer Genehmigung in Ausnahmefällen in der Kirche eingesetzt werden. Selbst die Orgel hatte nur mehr eine stützende Funktion für den Gesang; Orgelsoli, Präludien, Intermezzi waren ebenso untersagt wie ein Gesang in der Volkssprache.


In der Kompositionspraxis allerdings war das päpstliche Dekret nur vorübergehend absolut bestimmend. Nach wie vor entstanden außerhalb des kirchlichen Rahmens Messen von bedeutenden Komponisten, wie z. B. von Hindemith, Strawinski, Kódaly, Poulenc und anderen, die allerdings keinen offiziellen Eingang in die Kirchenmusik fanden. In seiner Wirkung verhinderte das „Motu proprio“ damit bis zum 2. Vatikanischen Konzil nachwirkend, einen Dialog zwischen der katholischen Kirchenmusik und der Musik der Gegenwart, dessen Fehlen von Kardinal Lehmann noch 2002 mit folgenden Worten beschrieben wurde: „Seit mindestens hundert Jahren findet kaum mehr ein dauerhaft fruchtbarer Dialog zwischen der katholischen Kirche und der autonomen Musik der jeweiligen Gegenwart statt.“ Im Jahre 1903, zum Zeitpunkt des Erscheinens des päpstlichen Dekrets, jedoch hatte Pfarrer Franz Bieger seinen Höhepunkt als Komponist schon überschritten.


Im Band "Marienperlen" von Alban Lipp sind zwei Choräle von Franz Anton Bieger enthalten: "Maria Himmelsfreud" und "Lob Mariens". Der letztere Choral ist leider nicht im Notenbild bekannt.


Angeregt durch die Gründung des Cäcilienvereins begann Pfarrer Bieger sich wohl erstmals in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts ernsthaft als Komponist mit der Kirchenmusik auseinander zu setzen. Alle bekannten Druckausgaben seiner Werke, die oft ohne Angabe von Jahreszahlen gedruckt wurden, wurden nämlich in Mark verkauft, was als Indiz für diese Auffassung gewertet werden darf, da erst ab 1876 die Mark den Gulden als Zahlungsmittel im Deutschen Reich endgültig abgelöst hatte. Damit darf auch angenommen werden, dass alle Werke Biegers tatsächlich in Genderkingen entstanden sind.


1903, mit dem „Motu proprio“, war die Schaffenskraft von Pfarrer Bieger durch seinen Diabetes wohl schon so erschöpft, dass dieses Dekret auf seine Kompositionsweise keinen Einfluss mehr nehmen konnte. Es wurden in dieser Zeit nur noch einige kleinere Werke, hauptsächlich Marienlieder, veröffentlicht. Die letzte Veröffentlichung erfolgte posthum im Jahre 1910. Es handelt sich hierbei um eine Neuausgabe des Lieds „Maria Himmelsfreud“, in einem a-capella-Satz für vierstimmigen Männerchor, ein Lied, das Bieger bereits schon früher im Band „Marienperlen“ von Alban Lipp veröffentlicht hatte.


Artikel im Donauwörther Anzeigenblatt vom 16. Januar 1907